Vollziehungsfrist nicht eingehalten, Folge: Aufhebung der einstweilige Verfügung, OLG Koblenz, Urteil vom 12.10.2016, Az: 9 U 924/16. Die Einzelheiten:
Oberlandesgericht Koblenz
Aktenzeichen: 9 U 924/16
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
XXX – Verfügungsbeklagte und Berufungsklägerin –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Gerstel, Grabenstraße 63, 48268 Greven
gegen
XXX – Verfügungsklägerin und Berufungsbeklagte –
Prozessbevollmächtigte: XXX
wegen wettbewerbsrechtlicher Unterlassung (einstweilige Verfügung)
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Oberlandesgericht XXX auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2016 für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 30.06.2016 (Az. 40 105/16) aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 25.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Durch das am 30.06.2016 verkündete Urteil hat die Verfügungsklägerin gegen die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Klägerin und Beklagte) eine wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanordnung im Wege der einstweiligen Verfügung erwirkt. Die Amtszustellung der Entscheidung an den Beklagtenvertreter erfolgte am 05.07.2016; die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils ist dem Klägervertreter am 14.07.2016 zugestellt worden.
Am 18.07.2016 hat die Klägerin eine beglaubigte Abschrift der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils per Post zum Zwecke der Zustellung von Anwalt zu Anwalt und vorab per Fax an den Beklagtenvertreter übermittelt, der das Empfangsbekenntnis nicht zurückgereicht hat. Am 01.08.2016 ist die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils per Gerichtsvollzieher an die Beklagte persönlich zugestellt worden.
Mit der Berufung beruft sich die Beklagte auf die nicht fristgerecht erfolgte Vollziehung der einstweiligen Verfügung und will die Aufhebung des Urteils erreichen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
Die einstweilige Verfügung vom 30.06.2016 ist nicht innerhalb der von Amts wegen zu prüfenden Vollziehungsfrist der §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO vollzogen worden.
Nach den vorgenannten Vorschriften muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden, wobei die Frist hier mit der Verkündung des Urteils am 30.06.2016 zu laufen begonnen hat. Die Vollziehung der Urteilsverfügung durch die Klägerin hätte deshalb bis zum 01.08.2016 (Montag) durch Parteizustellung der vollstreckbaren Urteilsausfertigung an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten bewirkt sein müssen, §§ 922 Abs. 2, 936, 191, 172 ZPO. Dies ist nicht der Fall.
Es fehlt bereits an jeglicher Zustellung einer vollständigen vollstreckbaren Urteilsausfertigung (1); die bewirkten Zustellungen der unvollständigen Entscheidungen genügen zudem nicht den Anforderungen an die Vollziehung einer Urteilsverfügung (2).
1. Wird in einer Entscheidung über ein wettbewerbsrechtliches Unterlassungsverbot – wie hier im Tenor des Urteils vom 30.06.2017 – auf Anlagen Bezug genommen, sind die konkret bezeichneten Schriftstücke zum Bestandteil der Entscheidung gemacht worden mit der Folge, dass sie als Anlage zum Urteil zu nehmen, mit selbigem zu verbinden und mit diesem zusammen zuzustellen sind (OLG Koblenz, Magazindienst 2013, 516). Ist die Beifügung der Anlagen im Rahmen der vom Gericht von Amts wegen vorzunehmenden Zustellung an den Gläubiger versehentlich unterblieben und setzt sich dieser Zustellungsfehler bei der gem. § 922 Abs. 2 ZPO vom Gläubiger an den Schuldner vorzunehmenden Zustellung fort, entlastet dies den Gläubiger bei einer verkündeten Urteilsverfügung nicht, weil er die Vollständigkeit des von ihm zu vollziehenden Verfügungsurteils zu überprüfen und gegebenenfalls auf dessen Vervollständigung hinzuwirken hat.
2. Im Übrigen ist das Verfügungsurteil nicht fristgerecht vollzogen worden.
2.1 Unstreitig ersetzt die von der Klägerin am 18.07.2016 veranlasste postalische Übersendung einer beglaubigte Abschrift der vollstreckbaren Urteilsausfertigung nicht die Parteizustellung der Entscheidung, weil schon die Zustellung von Anwalt zu Anwalt nach § 195 ZPO mangels Rückgabe eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses nicht nachgewiesen ist.
Dem Beklagtenvertreter ist auch zu keinem Zeitpunkt eine vollstreckbare Ausfertigung im Parteibetrieb zugestellt worden. Eine solche Zustellung erfolgte am 01.08.2016 nur an die Partei selbst; an das Büro des Beklagtenvertreters war am 18.07.2016 nur eine beglaubigte Fotokopie der vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils mit vorbereitetem Empfangsbekenntnis – laut Anschreiben „gemäß § 195 ZPO i.V. mit § 174 Abs. 2 ZPO von Anwalt zu Anwalt“ – übermittelt worden, wie dem vorgelegten Fax-Ausdruck zu entnehmen ist.
2.2 Eine Heilung der Zustellungsmängel ist nicht erfolgt. Weder konnte die am 01.08.2016 erfolgte (fehlerhafte) Parteizustellung an die Beklagte persönlich durch die vorangegangene Faxübermittlung einer beglaubigten Abschrift an den Beklagtenvertreter noch diese am 18.07.2016 erfolgte Faxübermittlung durch die spätere Parteizustellung an die Beklagte nach § 189 ZPO geheilt werden.
Nach § 189 ZPO gilt ein Dokument bei Zustellungsmängeln als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Bei der in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantworteten Frage, was unter Zugang eines Dokuments zu verstehen ist, folgt der Senat im Hinblick auf die Formenstrenge von Zustellungsvorschriften im einstweiligen Verfügungsverfahren der engeren Auffassung, nach der es bei Beteiligung eines Rechtsanwalts als Zustellungsempfänger nicht ausreicht, wenn das Schriftstück nur in seinen Herrschaftsbereich gelangt ist. Vielmehr erfordert der Umstand, dass unter gewöhnlichen Umständen Gelegenheit zur Kenntnisnahme besteht, bei einem Rechtsanwalt zusätzlich die Bereitschaft zur Kenntnisnahme, wenn ihm das Schriftstück gerade nicht durch Gerichtsvollzieher, sondern auf andere Weise „zugestellt“ worden ist (vgl. OVG Hamburg, NVwZ, 2005, 235). Die Anforderungen bei der Zustellung an einen Rechtsanwalt würden allzu weit herabgesetzt, wenn es ausreichen würde, dass das Schriftstück in seinen Besitz gelangt ist und dadurch jede fehlerhafte Zustellung – an den falschen Adressaten oder in falscher Form an den richtigen Adressaten – geheilt werden könnte. Nach Sinn und Zweck der Heilungsmöglichkeit gern. § 189 ZPO sollen Verstöße gegen Zustellungsvorschriften aber nur dann ohne Rechtsfolgen bleiben, wenn der Zweck der Zustellung auch ohne ihre Einhaltung erreicht wurde, insbesondere das zuzustellende Schriftstück so in die Hand des Empfängers gelangt ist, wie es bei ordnungsgemäßer Zustellung geschehen wäre (OVG Hamburg, aaO). Bei nicht durch Parteibetrieb erfolgter Zustellung an einen Rechtsanwalt gilt ein Schriftstück bei Zustellung gegen Empfangsbekenntnis aber erst in dem Zeitpunkt zugestellt, zu dem der Rechtsanwalt von dem Zugang Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen.
Das Verfügungsurteil vom 30.06.2016 ist damit nicht fristgerecht vollzogen worden, sodass es auf die Berufung der Beklagten aufzuheben ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.