Abmahnschutzbrief – Ordnungsgeldantrag wird zurückgewiesen. Die Details:

Kammergericht

 

Beschluss

 

Geschäftsnummer: 5 W 176/16

 

91 O 42/15 Landgericht Berlin

 

In dem Ordnungsmittelverfahren

 

zu dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

 

1. XXX

 

2. der XXX AG,

 

vertreten d. d. Geschäftsführer XXX, Schuldnerin und Beschwerdeführerin,

 

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwalt XXX

 

Rechtsanwalt Andreas Gerstel, Grabenstraße 63, 48268 Greven –

 

gegen

 

die XXX Rechtsanwälte GbR, vertreten d. d. Gesellschafter XXX,

 

Gläubigerin und Beschwerdegegnerin,

 

Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte XXX

 

hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht XXX, die Richterin am Kammergericht XXX und den Richter am Kammergericht XXX am 30. September 2016 beschlossen:

 

1. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der Kammer für Handelssachen 91 des Landgerichts Berlin vom 3. März 2016 in der berichtigten Fassung vom 31. März 2016 – 91 0 42/15 – geändert und der Ordnungsgeldantrag der Gläubigerin vom 4. Februar 2016 zurückgewiesen.

 

2. Die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens beider Instanzen hat die Gläubigerin zu tragen.

 

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

Die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin untersagte der Schuldnerin durch die am 20. Febru­ar 2015 zugestellte Beschlussverfügung vom 16. Februar 2015, außergerichtliche Rechtsdienstleisungen anzubieten und/oder zu erbringen und/oder für diese zu werben oder werben zu lassen, es sei denn, sie verfügt über eine Erlaubnis nach dem Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen oder nach einem anderen Gesetz, wenn es sich bei den Leistungen um die rechtliche Beurteilung von Onlineshops und/oder die rechtliche Beratung von deren Betreibern und/oder die Erstellung von Rechtstexten für die Onlineshops handelt, darunter insbesondere Widerrufsbelehrungen, AGB, Pflichtinformationen im Fernabsatz und/oder Datenschutzerklärungen, insbesondere unter der Bezeichnung „Abmahnschutzbrief“.

 

In der Antragsschrift hatte die Antragstellerin u.a. vorgetragen, ausweislich des Impressums der Internetseite „XXX “ und der dort vorgehaltenen „Allgemeinen Beratungsbedin­gungen für den Abmahnschutzbrief der XXX GmbH“ habe die Schuldnerin Rechtsdienst­leistungen angeboten. Die Schuldnerin gab eine Abschlusserklärung ab. Danach wurde das Ver­fahren wegen des Widerspruchs des am hiesigen Verfahren nicht beteiligten Antragsgegners zu 1 an die Kammer für Handelssachen verwiesen.

 

Am 15. Oktober 2015 verhängte die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen aufgrund eines Ordnungsmittelantrages der Antragstellerin gegen die Schuldnerin wegen Verstoßes gegen die einstweilige Verfügung ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft. Das diesbezügliche Beschwerdeverfahren ist beim Senat unter dem Aktenzeichen 5 W 30/16 anhängig.

 

Unter dem 3. März 2016 verhängte die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen aufgrund eines zweiten Ordnungsmittelantrages gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 20.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft. Der Schuldnerin wurde vorgeworfen, mit ihrem Internetauftritt unter „XXX“ weiterhin außergerichtliche Rechtsdienstleistungen beworben zu haben. Die Schuldnerin hat dem entgegen gehalten, dass im Impressum der Internetseite, in den dort vorgehaltenen AGB, in der Datenschutzerklärung und im Bestellformular des Abmahnschutzbriefes die Kanzlei des Rechtsanwalts XXX als Vertragspartner der Rechtsdienstleistungen bezeichnet gewesen sei. Die Schuldnerin sei lediglich als Vermittlerin des Auftrags an die Kanzlei XXX in Erscheinung getreten.

 

Die Schuldnerin hat sofortige Beschwerde eingelegt und über ihre bisherigen Einwendungen hinaus geltend gemacht, dass die Kammer über den Ordnungsmittelantrag hätte in voller Besetzung entscheiden müssen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 793, § 567, § 569 ZPO zulässig. Sie ist auch begründet, weil das beanstandete Verhalten der Schuldnerin nicht in den Kernbereich des gerichtlichen Verbots fällt.

 

1.

 

Das Verbot umfasst über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. Die Reichweite eines Unterlassungstitels ist durch Auslegung unter Berücksichtigung der gesamten Entscheidung, gegebenenfalls auch unter Heranziehung der Klage- oder Antragsbegründung, zu ermitteln (BGH GRUR 2010, 855, Tz 17 in juris – Folienrollos).

 

Hier lag dem, abgesehen von dem Insbesondere-Zusatz, abstrakt gefassten Unterlassungstitel ein Angebot und die Werbung der Schuldnerin für von ihr im Rahmen eines „Abmahnschutzbriefes“ zu erbringende Rechtsdienstleistungen zugrunde. Die Zurechnung des Angebots und der Werbung an die Schuldnerin als Anbietende bzw. Werbende wurde in der Antragsschrift mit der Nennung der Schuldnerin im Impressum, in den auf deren Website vorgehaltenen AGB (die Schuldnerin wurde dort als Vertragspartnerin der Rechtsdienstleistungen aufgeführt) und mit der Gestaltung der Website (u.a. „Wir behalten die Rechtslage für Sie im Blick“ und „Unsere Leistungen für Ihre rechtssichere Online-Präsenz im Komplettpaket“) begründet. Auf dieser, fraglos die Urheberschaft der Schuldnerin belegenden Sachlage hat das Landgericht die Schuldnerin wegen des rechtswidrigen Angebots, der Erbringung und/oder des Bewerbens ihrer unerlaubten Rechtsdienstleistungen zur Unterlassung verurteilt.

 

Das von der Gläubigerin mit ihrem Ordnungsmittelantrag beanstandete Verhalten der Schuldnerin geht über das Charakteristische der dem abstrakten Verbot zugrundeliegenden konkreten Verletzungsform hinaus:

 

a)

 

Im Tatsächlichen ist davon auszugehen, dass im Impressum des Internetauftritts der Schuldnerin im angeblichen Verletzungszeitpunkt als Vertragspartner und Erbringer der Rechtsdienstleistungen Rechtsanwalt XXX angegeben war und die Schuldnerin den Kanzlei-Auftrag zwischen Interessenten des Abmahnschutzbriefes und Rechtsanwalt XXX (lediglich) vermittelt hat. Die Gläubigerin hat den diesbezüglichen Vortrag der Schuldnerin zwar bestritten. Sie ist indes bereits im parallelen Beschwerdeverfahren zum ersten Ordnungsgeldbeschluss 5 W 30/16 mit Verfügung vom 24. Mai 2016 darauf hingewiesen worden, dass es ihr als Gläubigerin obliegt, dazu vorzutragen, wer im Zeitpunkt eines angeblichen Titelverstoßes im Impressum der Seite „XXX“ als Anbieter der Rechtsdienstleistungen angegeben war. Denn der Gläubiger ist für die tatsächlichen Voraussetzungen eines Verstoßes gegen das titulierte Verbot darlegungs- und beweispflichtig (OLG Nürnberg WRP 1999, 1184, Tz 4 und 13 in juris; Feddersen in Köhler/Bornkamm, UWG, 34. Aufl., § 12 Rn 6.8). Entsprechendes gilt für den seitens der Schuldnerin vorgetragenen Inhalt der auf der Website der Schuldnerin vorgehaltenen AGB

 

(„ § 1… Der Rechtsberatungsvertrag für den Abmahnschutzbrief kommt zustande mit Rechtsanwalt XXX….“), der Datenschutzerklärung („..Sie können auf dieser Website Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die von Rechtsanwalt XXX angeboten werden…“) sowie des Bestellformulars des Abmahnschutzbriefes, das Rechtsanwalt XXX als Adressaten ausweist.

 

b)

 

Das Charakteristische an dem der Schuldnerin verbotenen Verhalten bestand im Anbieten, der Erbringung und/oder der Bewerbung (eigener) Rechtsdienstleistungen. Dazu, ob diese Begehungsweisen auch dann als erfüllt anzusehen sind, wenn die Website der Schuldnerin im Impressum und andernorts einen Rechtsanwalt (oder Rechtsanwälte) als Leistungserbringer und Vertragspartner aufführt, dessen (deren) Leistungen von der Schuldnerin (lediglich) vermittelt wer­den, verhält sich die Beschlussverfügung nicht, weil ein solcher Sachverhalt seinerzeit nicht zu würdigen war. Ob bei einer solchen Gestaltung der Website ein Verstoß gegen das Rechtsbera­tungsgesetz oder gegebenenfalls andere Bestimmungen vorliegt, bleibt einer materiell-rechtlichen Prüfung in einem Erkenntnisverfahren vorbehalten (vgl. BGH GRUR 2013, 1071 – Umsatzanga­ben, Tz 17 und 18 in juris). Im Ordnungsmittelverfahren kann hierüber nicht befunden werden.

 

c)

 

Aus Vorstehendem ergibt sich, dass die der Ordnungsmittelverhängung zugrunde gelegte Wer­bung der Schuldnerin für außergerichtliche Rechtsdienstleistungen nicht in den Verbotsbereich fällt. Denn das Werbeverbot wurde, wie oben ausgeführt, hinsichtlich von der Schuldnerin selbst angebotener und/oder zu erbringender Dienstleistungen ausgesprochen.

 

d)

 

Soweit die Gläubigerin die Auffassung vertritt, dass der Webauftritt der Schuldnerin unabhängig vom Inhalt des Impressums, der AGB, der Datenschutzerklärung und des Bestellformulars insbe­sondere durch die Textfassung in der „Wir“-Form den Eindruck vermittele, diese trete als Anbiete­rin von Rechtsdienstleistungen auf und bewerbe diese, erfordert dies eine materiell-rechtliche Prüfung, ob und inwieweit der veränderte Webauftritt der Schuldnerin den – möglicherweise irre­führenden – Eindruck eines eigenen Angebots und dessen Bewerbung seitens der Schuldnerin erweckt. Diese Prüfung kann, wie unter b) ausgeführt, nicht im Vollstreckungsverfahren vorge­nommen werden.

 

2.

 

Da der angefochtene Beschluss bereits mangels Verstoßes gegen das titulierte Verbot aufzuhe­ben ist, kann die Frage, ob die Vorsitzende der Kammer für Handelssachen über den Ordnungs­mittelantrag ohne Mitwirkung der Handelsrichter entscheiden durfte, dahin stehen. Gleichwohl weist der Senat im Hinblick auf die künftige Praxis beim Landgericht darauf hin, dass aus den vom OLG Hamburg genannten Gründen (Beschluss vom 6.05.2009 – 5 W 33/09 – , Magazindienst 2010, 312) grundsätzlich die vollbesetzte Kammer für Handelssachen über Ordnungsmittelanträge zu entscheiden haben dürfte (ebenso Tombrink in Prütting/Gehrlein, ZPO, 8. Aufl., § 349 Rn 3; Spätgens in Ahrens, Wettbewerbsprozess, 7. Aufl., Kap. 67 Rn 3 a.E.; a.A. Stackmann in Mün­chener Kommentar, ZPO, 5. Aufl., § 349 Rn 24).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Wertfestsetzung auf § 51 Abs. 2 bis 4 GKG.